Eveline Crone ist eine international bekannte Entwicklungspsychologin. In ihrem Buch „Das pubertierende Gehirn“ erklärt sie das herausfordernde und für uns Erwachsene manchmal unverständliche Verhalten von Jugendlichen anhand der aktuellen Hirnforschung. Die Funktionsweise und Organisation des Gehirns verändert sich nämlich während der Lebensphase der Adoleszenz grundlegend. Crone erklärt in dem Buch verständlich und mit vielen interessanten Beispielen, wie sich diese Umbauarbeiten im Gehirn von Jugendlichen auf ihre schulischen Leistungen, Emotionen, Entscheidungen, ihre soziale Entwicklung oder auch auf Freundschaften und Beziehungen auswirken.

Sie (Jugendliche) verhalten sich anders als Erwachsene, weil ihr Gehirn anders arbeitet. (Crone, Seite 9)

Für mich ist dieses Buch ein Must-Read für alle, die im Yoga mit Jugendlichen arbeiten. Durch das Wissen aus dem Buch hat sich die inhaltliche Gestaltung meiner Yogakurse für Jugendliche verändert, auch der Umgang mit den Jugendlichen und es hatte sogar Einfluss auf organisatorische Aspekte meiner Teenager-Yogakurse gehabt. So biete ich schon seit langen keine Yogakurse für Jugendlichen mehr an einem Samstag Vormittag an. Warum frägst du dich? Weil sich in der Pubertät der Schlaf-Wach-Rhythmus von Jugendlichen verändert. Der Körper schüttet das Schlafhormon Melatonin immer später aus, wodurch sich der Schlaf-Wach-Rhythmus dahingehend verändert, dass Jugendliche erst spät einschlafen können. Da die Schule, zumindest hier in Deutschland“ keine Rücksicht darauf nimmt, und die Jugendlichen deshalb morgens trotzdem früh aufstehen müssen, baut sich schnell ein Schlafdefizit auf, dass sich wiederum auf das Verhalten auswirken kann. Hieraus kann schnell ein Teufelskreis entstehen. Zumindest an den Wochenenden sollten die Jugendlichen da die Möglichkeit haben ihren Schlaf umfassend nachzuholen. Aber das ist nur eine wichtige Erkenntnis für mich aus diesem Buch!

Das pubertierende Gehirn

Der Unterschied zwischen Pubertät und Adoleszenz.

Im Sprachgebrauch befinden sich Jugendliche einfach in der Pubertät. Die Pubertät ist aber nur ein Teil der Adoleszenz. Als Pubertät bezeichnet man die Phase der sexuellen Reifung und die damit verbundenen körperlichen Veränderungen, die ihn zur Fortpflanzung befähigen. Die Adoleszenz ist die psychosoziologische Phase in der die Entwicklung einer eigenen Identität im Vordergrund steht. Sie wird auch als „psychosoziale Pubertät“ bezeichnet. Grundsätzlich werden 3 Phasen unterschieden. Die Phase der Pubertät in der der Großteil der körperlichen Veränderungen stattfindet, die mittlere Adoleszenz die von der mentalen Reifung geprägt ist und die späte Adoleszenz in der sich alles endlich beruhigt und sich die Jugendlichen selbst wieder besser verstehen.

Besonders in der Organisation des Gehirns ergeben sich in dieser Phase einschneidende Veränderungen. (Crone, Seite 13)

Die Auswirkungen auf das Lernen und die schulischen Leistungen.

Für die schulischen Kompetenzen von Jugendlichen ist das Arbeitsgedächtnis und seine Entwicklung von großer Bedeutung. Eveline Crown erklärt eindrucksvoll, warum es vom Gehirn her ein großer Unterschied ist, ob sich Jugendliche Informationen „nur“ merken oder sie auch verarbeiten sollen, denn hierbei werden unterschiedliche Gehirnregionen angesprochen. Die Gehirnregion, die für das Merken zuständig ist, entwickelt sich schneller als die Gehirnregion, die für das Verarbeiten von Informationen zuständig ist. Zudem läuft die Gehirnentwicklung nicht bei jedem Jugendlichen gleich schnell ab. Wie auch bei der kindlichen Entwicklung, gibt es auch bei der Gehirnentwicklung während der Adoleszenz längere, schnellere oder spätere Wachstumsschübe. Dies hat immense Auswirkungen gerade im schulischen Alltag von Jugendlichen, der auf diese biologischen Umbauarbeiten keine Rücksicht nimmt.

Weitere interessante Punkte in diesem Zusammenhang sind:

  • Die Hirnforschung hat festgestellt, dass das Gehirn von Jugendlichen stärker auf Motivation und Bestätigung reagiert, als auf Kritik und Strafe!
  • Jugendliche sind bekannt für ihr Multi-Tasking – telefonieren, Hausaufgaben machen und gleichzeitig telefonieren. Die Hirnforschung hat allerdings bewiesen, dass das Gehirn (Arbeitsgedächtnis) von Jugendlichen die Doppelbelastung des Multi-Tasking noch nicht optimal bewältigen kann.
  • Das Spiel „Simons says“ ist auch im Kinderyoga ein bekanntes Spiel, bei dem die Kinder alles nachmachen, was Simon sagt, wie beispielsweise „Simon sagt: Katsch in die Hände.“ Wird aber nur gesagt „Schüttele den Kopf!“, sollen die Kinder nichts machen. Solche Spiele werden in jeder Kinderyogastunde gespielt und es ist faszinierend zu erfahren, was hierbei im Gehirn von Kindern abläuft und warum manche Spielabläufe Kindern schwer fallen. Eveline Crown beschreibt dies in dem Buch am Beispiel des Spiels „Simons says“ sehr ausführlich.

Wir sollten dieses Wissen einbeziehen, wenn uns daran gelegen ist, Heranwachsenden eine gute Orientierung zu geben. (Crone, Seite 55)

Das Auf und Ab der Gefühle in der Pubertät.

Gefühle und Emotionen spielen während der Adoleszenz eine zentrale Rolle; vorallem ihr ständiges Auf und Ab. Jugendliche sind zudem für ihr teilweise riskantes Verhalten bekannt wie beispielsweise auf dem Geländer einer Brücke zu balancieren. Aber wie erleben Jugendliche selbst diese Risiko-Situationen? Wie treffen Jugendlichen Entscheidungen? Und welche Rolle spielen die Emotionen dabei?

Eveline Crone erklärt aus der Sicht der Hirnforschung, wie Entscheidungen von uns Erwachsenen getroffen werden, und dies passiert interessanterweise meist gar nicht durch das rationale abwägen von Vor- und Nachteilen, sondern tatsächlich durch unsere Gefühle; wir kennen alle den Ausdruck „Bauchgefühl“. Und dieses Entscheidungssystem ist laut der Hirnforschung so effizient, dass wir im Bruchteil von Sekunden tatsächlich auch für uns richtige Entscheidungen fühlen und treffen können. Bei Jugendlichen entwickelt sich dieses Gefühls-System für Entscheidungen erst noch und sie können ihrer Intuition noch nicht vertrauen, d.h. sie verstehen die Situation, können aber noch nicht fühlen, was die richtige Entscheidung ist. Sie versuchen auf eine rationale Art und Weise über die Situation nachzudenken, wodurch sie auch nicht in der Lage sind schnelle Entscheidungen zu treffen. Zudem müssen Jugendlichen erst lernen langfristige Entscheidungen zu treffen, denn sie sind in diesem Alter noch gar nicht dazu in der Lage die langfristigen Folgen ihres Handelns zu überblicken. Auch Belohnungen, Gewinn oder Nutzen spielen hier für Jugendlichen bei der Entscheidung eine große Rollen. Kurzfristige und schnelle Belohnungen haben bei ihnen immer Vorrang vor langfristigem Nutzen, da das entsprechende Hirnareal in dieser Phase hyperaktiv ist. Jugendliche suchen deshalb regelrecht nach spannenden und herausfordernden Situationen; nach dem Kick in der Hoffnung auf eine „Belohnung“. Es ist ein ständiges hin und her zwischen „Rational und Emotional“, dass die Jugendlichen selbst nicht erklären können und sie haben auch noch keine Kontrolle darüber. 

Die Adoleszenz ist von Veränderungen geprägt, die eine neue Art der Zusammenarbeit  zwischen emotionalen und rationalen Hirnregionen bewirken. Das kann zur Folge haben, dass der rationale Bereich gelegentlich gegenüber dem emotionalen Bereich ins Hintertreffen gerät und dieser die dominante Rolle einnimmt. (Crone, Seite 119)

Die soziale Entwicklung bei Jugendlichen.

Ein weiteres wichtiges Thema, während der Adoleszenz, ist die soziale Entwicklung von Jugendlichen. Eveline Crone beschreibt in dem entsprechenden Kapitel „Das soziale Gehirn“, wie sich die soziale Orientierung und die Perspektive vom Kindes- bis ins Jugendalter in Bezug auf Freundschaften verändert. Mit der sozialen Entwicklung zeigt sich auch wieder der Konflikt zwischen den Hirnregionen in Bezug auf Emotionalität und Rationalität. Mit der sozialen Entwicklung von Jugendlichen schließt sich ein kleiner Kreis: Das soziale Umfeld mit Gleichaltrigen gewinnt mehr Einfluss und die Rolle der Eltern verändert sich. Das Interesse am anderen Geschlecht wird größer. Die Pubertät, in der die Jugendlichen die Sexualreife erlangen und die Fähigkeit zur Fortpflanzung entwickeln, als Teil der Adoleszenz spielt hier eine bedeutende Rolle. Fakt ist aber auch, dass über die Entwicklung des sozialen Gehirns noch gar nicht so viel bekannt ist.

Eltern mögen es bedauern, dass ihre Kinder ihnen in der Pubertät weniger anvertrauen, für Teenager ist das aber ein Teil ihrer normalen sozialen Neuorientierung. (Crone, Seite 136)

Das Potenzial von Jugendlichen während der Adoleszenz.

Es ist beeindruckend, wie die Entwicklung des Gehirns von Jugendlichen während der Adoleszenz abläuft und welche Auswirkungen dies auf ihr Verhalten hat. Aber genauso beeindruckend ist auch das einzigartige Potenzial von Jugendlichen. Sie können Talente entfalten, kreative und einfallsreiche Ideen entwickeln, unkonventionelle Lösungen für Probleme finden oder Höchstleistungen im Sport erbringen. Diese Potenziale entfalten sich u.a. deshalb, weil bei Jugendlichen die Hirnareale für Risiken und Mut hyperaktiv sind. Deshalb ist es auch in der Yogastunde durchaus sinnvoll mit Jugendlichen fortgeschrittene Asana zu Üben, um dieser Hyperaktivität Ausdruck zu verleihen.

Das könnte den Eindruck vermitteln, Jugendliche seien in allen diesen Punkten weniger kompetent als Erwachsene und es sei wohl das Klügste, geduldig abzuwarten, bis das pubertierende Gehirn zu seiner reifen Form gefunden hat. Doch das wäre ein großes Missverständnis. Denn das Gehirn Jugendlicher bietet in der Adoleszenz eine Vielzahl einzigartiger Möglichkeiten, die Erwachsene manchmal schon wieder verlorengegangen sind. (Crone, Seite 166)

Buch-Informationen.

Eveline Crone
Das pubertierende Gehirn – Wie Kinder erwachsen werden.
Verlag Droemer
208 Seiten
ISBN 978-3-426-30094-7

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